FAST TRACK

Im Jahr 2021 haben dreizehn Kreativteams ihre Projekte für den Innovationswettbewerb der Filmstiftung eingereicht. Die Jury, bestehend aus der Schauspielerin und Drehbuchautorin Anna Brüggemann sowie dem Regisseur und Drehbuchautor Dietrich Brüggemann, hat aus diesen Einreichungen drei Projekte zu Gewinnern gekürt.

Vorwort der Jury

Die Juryarbeit für „Fast Track“ hat uns grosse Freude gemacht und wir sind dankbar für die Gelegenheit, die Begegnungen und die Inspiration, die daraus entstanden sind. Wir freuen uns, dass zwei Projekte sich durch ihr klares künstlerisches Profil ganz von allein als Favoriten präsentierten und dass dieser Eindruck sich im Gespräch mit den Macherinnen und Machern dann jeweils bestätigt hat.

Das dritte Projekt stellte sich nicht so klar heraus, aber der Grundgedanke von „Fast Track“ ist ja eine schnelle Lizenz zum Experimentieren, also gewissermassen eine Wette auf den glücklichen Zufall, der sich vielleicht auch dann einstellt, wenn ein Projekt sich auf dem Papier noch nicht überzeugend präsentiert. Und da gab es in der Tat eine dritte Einreichung, bei der wir diese Chance am klarsten sehen. Insofern wählen wir drei Projekte für „Fast Track“ aus und freuen uns auf die Filme, die am Ende entstehen werden.

Die Gewinnerprojekte des Fast Track 2021

«Gebrochen»

Von Damien Hauser und Foscky Pueta
Geschätztes Projektbudget: CHF 129’000. Die Zürcher Filmstiftung beteiligt sich mit CHF 103’200

Der 18-jährige Simi ist noch Jungfrau. Unter dem Druck seines Umfelds wird sein erstes Mal im Nachhinein zu einem Alptraum: Ihm wird eine Vergewaltigung vorgeworfen und er gerät in den Strudel der Sozialen Medien. Es kommt zu einer juristischen und menschlichen Hetzjagd. Am Ende sind alle Opfer.

Begründung der Jury:
«Gebrochen» handelt von der Unsicherheit junger Menschen in einer Welt, die von ihnen permanente Selbstdarstellung als „authentische“, gleichzeitig aber auch ästhetisch und moralisch makellose Persönlichkeit auf sozialen Medien verlangt, in der aber die alten Teenagerrituale und Gruppenzwangsverhältnisse weiter lebendig sind. Jeder versucht, jemand zu sein, der er nicht ist und sagt Dinge, von denen er denkt, dass die Welt sie hören will. Und so verstrickt sich der Protagonist Simi immer weiter in Widersprüchen, die er allein nicht auflösen kann. Das junge Team – die Crew setzt sich zum grössten Teil aus Mitgliedern des Vereins «Art4um» zusammen und viele von ihnen sind kaum älter als ihre Hauptfiguren – erzählt eine Geschichte mit persönlichen Erfahrungen und aus einer Welt, die sie aus eigener Anschauung kennen. Es gelingt ihnen dabei, weit über den Erfahrungsbericht hinauszugehen und eine Handlung zu entwerfen, die grundlegende Fragen stellt. Zudem finden sie eine unkonventionelle Erzählform, die uns neugierig auf das Ergebnis macht. Die entwaffnende Ehrlichkeit, die Entschlossenheit und Souveränität der beiden Macher hat uns sehr beeindruckt und wir sind sehr gespannt auf den fertigen Film.

«Transcending Harry»

Von Bruno Conti Wuilloud und Luzius Fischer (Dynamic Frame GmbH)
Geschätztes Projektbudget: CHF 362’038. Die Zürcher Filmstiftung beteiligt sich mit CHF 289’600

Der experimentelle Mockumentary «Transcending Harry» handelt vom fiktionalen Protagonisten Harry, der in Isolation in einer Berghütte lebt. Der ehemalige Versicherungsangestellte hatte vor drei Monaten bei einer Meditation eine spirituelle Erleuchtung. Dabei wurde er eins mit der ganzen Menschheit und begann, ständig neue Gestalten anzunehmen, was innert Kürze eine schwere Belastung für seinen Alltag wurde. Aufmerksam geworden auf das seltsame Phänomen begleitet ihn ein Filmteam, um durch Interviews mehr über seine Selbstfindung zu erfahren.

Begründung der Jury:
Das Thema vom Zurechtkommen in unserer neuen Realität ist in unserem heutigen Leben omnipräsent. «Transcending Harry» spielt inhaltlich, aber auch formal mit den Themen Meditation und Transformation und fügt sich als pseudotiefgründiges Doku-Portrait in den (sozialen) Medien in die zeitgenössische Suche nach Sinn ein. So breit die Masse an Menschen ist, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt, so breit ist auch das Publikum. Zugleich spürt man in der Grundidee, im Dossier und auch in der Begegnung mit den Machern einen Humor, der heute fast schon Seltenheitswert hat. Das Team beeindruckte uns ausserdem auch in seinem ehrgeizigen Vorhaben, eine hochkomplizierte Motion-Control-Technik für die Umsetzung zu nutzen, mit der sie sich ganz offensichtlich auch auskennen. Wir sehen hier eine Kombination aus ästhetischer Eigenständigkeit, erzählerischer Individualität und humorvollem Blick auf unsere Zeit. Hinzu kommt ein stark spürbarer Teamspirit. All das hat uns erfreut und überzeugt.

«Lost in paradise»

Von Ralph Etter, Simone Häberling und This Lüscher (Presence Production GmbH)
Geschätztes Projektbudget: CHF 400’000. Die Zürcher Filmstiftung beteiligt sich mit CHF 320’000

Die transmediale Serie «Lost in Paradise» handelt vom Integrationsfrust und von der Lebenslust junger Immigranten und Secondas. Sie wird während fünf Wochen via Instagram ausgestrahlt. In täglichen mehrminütigen Folgen wird das Leben junger Immigrantinnen und Secondos in der Schweiz fiktionalisiert und dramatisiert. Das Zielpublikum wird dabei in den Entstehungsprozess aktiv und entscheidend mit einbezogen – vor und hinter der Kamera.

Begründung der Jury:
«Lost in paradise» beschäftigt sich mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Schweiz. Es tut dies jedoch nicht von oben herab, sondern gibt ihnen selbst die Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen. Unter der professionellen Anleitung des Regisseurs werden sich die Jugendlichen selber einbringen und wir hoffen, dass sie bei den fünfwöchigen Dreharbeiten auch einiges lernen werden. Nichts schweisst mehr zusammen und macht glücklicher, als in seiner Jugend zusammen ein künstlerisches Projekt auf die Beine zu stellen, das wissen wir aus eigener Erfahrung.
Wir hoffen, dass dieses Projekt den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken und die Zuschauer dafür sensibilisiert, mit welchen Schwierigkeiten sie sich durch Vorurteile im Alltag, bei der Lebensplanung und bei der Jobsuche konfrontiert sehen. Das Förderinstrument «Fast Track» bietet eine ausserordentliche Chance, Erfahrungen mit einem Distributionsformat zu machen, das auf diese Weise noch wenig bespielt worden ist. Wir hoffen auf ein Projekt, das nachdenklich macht und gleichzeitig Spass bringt – den Kreativen und den Zuschauenden.